Chemo-Cocktail, Teilnahme an Interviews und Umfragen, Telefonat mit Ruth
- Antje Hoell
- 19. Feb. 2021
- 4 Min. Lesezeit
Über eine Woche ist es her, seit ich meinen letzten Blogeintrag geschrieben habe. Zwischenzeitlich ist einiges passiert, wovon ich berichten kann.
Erst einmal zu meiner derzeitigen Therapie: Gestern war es wieder soweit. Ich habe meinen Chemo-Cocktail erhalten, trotz viel zu niedriger Granulozytenwerte. Die Ärzte wollen nicht zu viel Zeit zwischen den Zyklen vergehen lassen, weil immer die Gefahr besteht, dass sich die Krebszellen in therapiefreien Zeiten erneut vermehren. Somit habe ich gestern wieder meine Palette an Medikamenten erhalten: 1. 2 Tabletten Paracetamol gegen Schmerzen, 2. eine Infusion mit Dexamethason gegen Übelkeit sowie allergische und entzündliche Prozesse im Körper, 3. eine Spritze mit Clemastin gegen allergische Reaktionen und 4. die Chemodosis, der Antikörper Daratumamab per Spritze. Die komplette Gabe der Medikamente dauert in der Regel 1 1/2 - 2h. Das ist darauf zurückzuführen, dass bestimmte Zeiten eingehalten werden müssen, bevor die jeweilige Wirkung des Medikamentes einsetzt. Die Paracetamol Tabletten benötigen 1/2h bevor sie wirken, das Dexamethason wirkt meines Erachtens sofort und den ganzen Tag über und das Clemastin braucht 1/2h bis es wirkt. Erst danach erhalte ich die Spritze mit dem Daratumamab für 5min! subkutan in den Bauch. Das ist sehr unangenehm und auch schmerzhaft. Ich hatte die letzten beiden Male jedoch das Glück, dass mir die Spritze von der sanftmütigsten Schwester der Tagesklinik gegeben wurde, so dass die Überbrückungszeit aushaltbar war. Da die Granulozytenwerte permanent zu niedrig sind, wird zusätzlich Anfang März erneut eine Knochenmarkpunktion durchgeführt, um festzustellen, ob mein Knochenmark allgemein nicht genügend weiße Blutkörperchen bilden kann. Sollte das der Fall sein, steht eine neue Diagnose im Raum und somit eine weitere, andere Therapie. Näheres dazu, wenn die Ergebnisse vorliegen. Zusätzlich zu all den Spritzen und Medikamenten des gestrigen Tages habe ich noch eine Neupogenspritze in den Bauch erhalten, die das Knochenmark dazu anregt, weiße Blutkörperchen zu bilden. Diese durfte ich mir heute und werde ich mir morgen selbst spritzen. Schon verrückt. Einerseits erhalte ich Zytostatika (Chemomedikamente), die meine Krebszellen abtöten sollen und andererseits töten diese auch meine gesunden Zellen. Paradoxe Therapie. Verrückte Welt. Zweifel. Unsicherheit. Und immer wieder die Fragen: Wieso? Wie lange halte ich diese Therapie noch durch? Wie lange schlägt mein Körper noch auf die Medikamente an? Welche langfristigen Nebenwirkungen werde ich zusätzlich zu den bereits vorhandenen Nebenwirkungen haben? Fragen, die mich emotional belasten! Ich spüre Verzweiflung, Hilflosigkeit und Wut. Da fällt es nicht leicht, optimistisch in die Zukunft zu schauen, wenn diese eine permanente Chemotherapie in Aussicht stellt.
Passend zu den Fragen, die mich beschäftigen und begleiten, habe ich in der letzten Woche an einem Interview und einer Umfrage zum Multiplen Myelom und dessen neuesten Therapiemöglichkeiten teilgenommen. Die Umfragen und Interviews werden von Marktforschungsunternehmen durchgeführt, die im Auftrag der Pharmakonzerne arbeiten. Die Teilnahme daran ist freiwillig und dient den Pharmakonzernen dazu, ihre Medikamente und Therapieangebote an die Bedürfnisse der PatientInnen anzupassen. Bevor ich mit der Chemotherapie begonnen habe, hätte ich nicht gedacht, einmal den Pharmakonzernen Informationen zu liefern. Da ich jedoch, dank der Therapie, noch weiterleben kann, sehe ich die Zuarbeit mit anderen Augen. Ich will auch auf diesem Wege dazu beitragen, dass die Medikamente und die Therapiemöglichkeiten noch zielgerichteter auf den Patient/die Patientin abgestimmt werden können. Das heißt noch lange nicht, dass ich die Pharmakonzerne und ihre Werte gut heiße. Ich sehe jedoch, dass Forschung und Medikamente notwendig sind. Außerdem habe ich durch die mir dort gestellten Fragen und Informationen die Möglichkeit, meine Therapie besser zu verstehen und auch mich, meine Ängste und Sorgen besser zu verarbeiten. In den Interviews und Umfragen wurde mir außerdem bisher immer die Frage gestellt, was ich mir von zukünftigen Therapien wünsche, was verbessert werden sollte. An diesem Punkt vertrete ich eindeutig meine Meinung, dass ein Zusammenführen von Schulmedizin und Komplementärmedizin notwendig und absolut wichtig für die Behandlung und Gesundung der PatienInnen ist. Komplementärmedizin bedeutet für mich vor allem, selbstbestimmt den Weg der Therapie zu gehen, Fragen zu stellen, nicht alles als gegeben hinzunehmen sowie Möglichkeiten der Unterstützung zu suchen und anzunehmen. Wie wundervoll wäre es, wenn der Arzt nicht nur Medikamente und Chemotherapie „verschreibt“, sondern diese gleich ergänzt mit pflanzlichen, den lebenzugewandten Medikamenten sowie Informationen darüber, wie die PatientInnenwie ihr Immunsystem und ihre Psyche eigenständig stärken können. Ich kombiniere beide Seiten und dafür bin ich dankbar. Denn ohne meine goldenen „Po-Spritzen“, die Akupunktur, das Schreiben, die Natur, die Bewegung, mein regelmäßiges Yoga, würde ich nicht mehr so aktiv und dankbar am Leben teilnehmen können. Eine Therapie nur mit Medikamenten, deren Nebenwirkungen, einem Gefühl von "ausgeliefert" sein, hat gefühlt keinen Platz für das Eigenständige, das Gute. Gespräche zu führen, offen über Gefühle und die Erkrankung zu sprechen, ist in dem Zusammenhang enorm wichtig.
Als ich den Blogbeitrag geschrieben habe, hing ich emotional durch. Zwischenzeitlich war ich spazieren und habe mit meiner lieben Freundin Ruth telefoniert. Das Gespräch mit ihr hat mir ungemein gut getan. Ich habe ihr berichtet, wie es mir geht, was mich beschäftigt. Sie hat mir zugehört, meine Situation aus ihrem Blickwinkel betrachtet und ihre Bewunderung ausgesprochen, wie sehr ich es doch immer wieder schaffe, positiv dem Leben zu begegnen. Für das Telefonat, das „Zurechtrücken“ in meinem Kopf, die damit gewonnene Klarheit, bin ich meiner lieben Ruth sehr dankbar. Und so ziehen sich Gespräche, Telefonate, Nachrichten durch mein Leben. Zur richtigen Zeit vereinbare ich Telefonate, „klopft“ die ein oder andere an, schreibt mir eine Nachricht. Wenn das passiert, weiß ich, ich befinde mich im Fluss des Lebens.
In dem Sinne wünsche ich allen von Herzen den Mut, über seine/ihre Gefühle und Gedanken offen reden zu können. Denn nur wenn wir uns mitteilen, können wir unsere Gedanken ordnen, diese „zurechtrücken“, bekräftigen oder wieder verwerfen. Es tut gut, WegbegleiterInnen zu haben und nicht allein zu sein. Pflegt die Beziehungen, die ihr habt. Sie sind das Fundament für unser Wohlbefinden.
Anbei Fotos, auf denen unsere Katzen Rosi & Marie sowie mein lieber Mann Christian & ich zu sehen sind. Beziehungen, die mich stärken.
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