Ein längst überfälliges Update – Etwas lang und wegweisend
- Antje Hoell
- 27. März 2021
- 5 Min. Lesezeit

Vor 10 Tagen habe ich das letzte Mal einen Beitrag geschrieben. Zwischenzeitlich habe ich Schönes erlebt, an verschiedensten Online-Veranstaltungen zum Thema Krebs, Psyche und Gesundheit teilgenommen, zahlreiche Telefonate mit FreundInnen geführt sowie zwei Arztgespräche gehabt, wovon mich eins sehr zum Grübeln bewegt hat. Wo fange ich nur an? Am besten von vorn…
Vor 2,5 Wochen hatte ich meine Knochenmarkpunktion. Am Dienstag fand dazu das Auswertungsgespräch mit meinem Oberarzt statt. Das Ergebnis der Knochenmarkpunktion liest sich gut. Im August letzten Jahres hatte ich eine Plasmazellinfiltrate (= Tumorzellen) von über 60% im Knochenmark, jetzt liegt die Rate deutlich unter 10%. Ein überraschend gutes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass ich eine Therapie nicht! nach vorgeschriebenem Protokoll erhalte, sondern diese jederzeit individuell auf mich angepasst wird. Das Ergebnis der genetischen Auswertung der Knochenmarkpunktion, die noch detaillierter und aussagekräftiger ist, wird erst in einigen Wochen vorliegen. Gewissermaßen sollte ich jetzt glücklich über das Ergebnis sein und stolz darauf, dass mein Körper so gut auf die Therapie angesprochen hat. Ein Glücksgefühl hat sich jedoch bisher nicht eingestellt. Denn der Krebs ist noch da und wird immer bleiben, da das Multiple Myelom nicht heilbar ist. Ziel der Behandlung von MyelompatientInnen ist es, die Lebensqualität so gut es geht, wieder herzustellen und beizubehalten sowie ein wieder Auftreten der Erkrankung so lange wie möglich heraus zu zögern. Ich befinde mich derzeit noch in der sogenannten Erstlinientherapie, die in der Regel nach ca. 6 – 12 Monaten abgeschlossen ist. Ziel der Erstlinientherapie ist es, die Anzahl der Tumorzellen im Knochenmark soweit es nur geht, zu verringern, was bei mir hervorragend geklappt hat. In meinem Laienverständnis würde ich jetzt sagen: Super gemacht. Ich habe es geschafft. Die Therapie ist beendet. Leider ist das nicht der Fall. Ich muss die Erstlinientherapie noch beenden und danach folgt die Erhaltungstherapie. Zum Glück, ich werde nicht müde meine Dankbarkeit gegenüber meinem Oberarzt auszudrücken, habe ich einen Oberarzt, der meine körperlichen Reaktionen auf die Therapie sowie meine Psyche berücksichtigt, ernst nimmt und die weitere Therapie auf mich abstimmt. Bis zum Sommer werde ich weiterhin den Antikörper Daratumamab erhalten. Zum Glück nur noch alle 2 Wochen und später alle 4 Wochen. Danach habe ich mir, so der Oberarzt, erst einmal eine kleine Pause von all der Chemie, verdient. Um das Myelom jedoch langfristig zu „drücken“ und ein Rezidiv (Wiederauftreten der Erkrankung) so lange wie möglich heraus zu zögern, schließt sich an die Erstlinientherapie eine Erhaltungstherapie an. In der Regel sieht diese die Gabe des Contergan-Medikaments Revlimid vor. Da ich mich bisher gegen das Medikament entschieden habe, ist eine Erhaltung mit dem Antikörper Daratumamab in einem 6 wöchigen Rhythmus geplant. Ob es dabei bleibt, darüber entscheidet der Oberarzt im Sommer, immer unter Berücksichtigung meiner Blutwerte und meines körperlichen Wohlbefindens.
Am Donnerstag diese Woche, hatte ich wieder Therapie in der Tagesklinik und ein weiteres Gespräch mit einer der jungen Ärztinnen, die sich ebenfalls auf das Myelom und dessen Therapiemöglichkeiten spezialisiert hat. Noch nicht erwähnt habe ich, dass sich an die Erstlinientherapie bisher die Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation angeschlossen hat und danach erst die Erhaltungstherapie erfolgt ist. Die Transplantation war und ist bisher noch das „Allheilversprechen“, das das Myelom für Jahre „zurückgedrängt“ werden kann. Was ich bisher von Betroffenen erfahren habe, sieht jedoch anders aus. Oft kam das Myelom nach 1-2 Jahren wieder. Es gibt wenige Ausnahmen, davon kenne ich auch jemanden, der auch nach 12 Jahren symptomfrei ist. Diese Ausnahmen machen natürlich Mut und schenken Hoffnung. Gleichzeitig stehen prozentual dazu im Vergleich zu viele PatientInnen, bei denen es zu schnell zu einem Rezidiv kam. In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Medikamente zur Therapie zugelassen wurden, die eine höhere Wirksamkeit und geringere Toxizität (=Giftigkeit) aufweisen. Die Zulassung des Antikörpers Daratumamab, den ich erstmalig in der Erstlinientherapie erhalte, war vor einigen Jahren noch undenkbar. Und die Forschung und Entwicklung geht weiter. Ein neuer Ansatz bzw. Therapieoption ist z.B. die CAR-T-Zelltherapie. Bei diesem Ansatz werden den PatientInnen Stammzellen entnommen, genetisch! verändert und den PatientInnen wieder übertragen. Ich finde diesen Ansatz interessant und spannend, es fasziniert mich, was Technik und Mensch erreichen können und gleichzeitig liegt darin eine große Gefahr. Denn bisher weiß niemand, wie die genetisch veränderten Stammzellen langfristig auf den Körper wirken. Ich bin heute sehr ausführlich, was meine Erläuterungen betrifft. Das ist darauf zurückzuführen, dass ich mir durch die Online-Veranstaltungen zum Multiplen Myelom zahlreiches Wissen angeeignet habe, was ich zu gerne teilen möchte. Jedoch nicht in einem einzigen Blogbeitrag. Ich gelobe Besserung.
Zurück zum Donnerstag und dem Gespräch mit der Ärztin: diese hat sehr vorsichtig und behutsam den ersten Schritt zu einer in naher Zukunft evtl. liegenden Stammzelltransplantation eingeleitet. Was meine ich damit? Wie erwähnt, folgt einer Erstlinientherapie eigentlich eine autologe Stammzelltransplantation (ich wäre selbst Spenderin). Diese besteht aus 2 Schritten: Im ersten Schritt, werden durch eine Chemotherapie Stammzellen im Körper mobilisiert, „abgesammelt“ und eingefroren. Zu einem späteren Zeitpunkt, das kann Jahre später sein, werden im zweiten Schritt, die zuvor „abgesammelten“ eigenen Stammzellen den PatientInnen wieder übertragen. Bevor das jedoch möglich ist, erhalten die PatientInnen eine weitere Chemotherapie, diesmal sogar eine Hochdosischemotherapie, bei der das ganze Knochenmark zerstört wird, in der Hoffnung, noch die letzten Krebszellen zu eliminieren. Da ich derzeit einen geringen Anteil an Krebszellen im Körper habe, wäre es die perfekte Zeit, den ersten Schritt der Stammzelltransplantation zu gehen. Denn das Myelom wird bleiben und wiederkehren und das Knochenmark so stark schädigen, dass ich eigene Stammzellen benötige, die ich zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht mehr mobilisieren könnte. Ob die Mobilisation der Stammzellen für mich in Frage kommt, wie intensiv eine Chemotherapie dafür aussehen würde, kläre ich am 22.04.21. Denn an dem Tag habe ich ein Gespräch mit Frau Prof. Dr. Weisel vom UKE in Hamburg.
Was dieser Schritt für mich bedeutet, könnt ihr euch bestimmt vorstellen. Noch letztes Jahr habe ich eine Chemotherapie kategorisch ausgeschlossen. Seit September erhalte ich chemische Medikamente und jetzt denke ich über eine Chemotherapie nach, die pures Gift ist. Verrückt. Kaum noch nachvollziehbar. Das erklärt auch meine 3stündige Nacht. Ich habe wachgelegen. Einerseits wegen des aufputschenden Dexamethasons, das ich immer im Zusammenhang mit dem Daratumamab erhalte und andererseits habe ich mehr als genug nachgedacht, gegrübelt, hin- und her überlegt über den ersten Schritt der Stammzelltransplantation.
Franz Kafka hat einmal gesagt: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, habe ich viele Wege beschritten. Oft stand ich vor Weggabelungen, musste mich entscheiden, welche Richtung ich einschlage, welchen Weg ich gehe. Ob es der richtige Weg für mich war, weiß ich nicht. Vielleicht ist jeder Weg, den wir einschlagen, der Richtige, auch wenn er steinig und unwegsam ist. Denn gerade das Außergewöhnliche, die Chance zu wachsen, geschieht nicht auf gewöhnlichem Wege.
Gefühlt will ich am Ende der Erstlinientherapie alles getan haben, was bis zu diesem Zeitpunkt möglich war, um vorerst mit der Therapie abschließen zu können, das ist mein Anspruch. Vielleicht gehört dazu der erste Schritt der Stammzelltransplantation? Ich weiß es nicht. Christian, mein lieber Mann, hat mir geraten, das Grübeln und Nachdenken zu lassen und alle auftretenden Fragen, Unsicherheiten, Gedanken etc. für das Gespräch im UKE zu notieren. Wie Recht er hat und wie schwer es doch ist, das Gedankenkarussell abzuschalten. Nach 2h Grübeln in der Nacht, bin ich an einem ganz besonderen Punkt angekommen: Ich habe meine weitere „Lebenslektion“ erkannt und gefühlt: Die Konzentration auf den Moment, auf das viel beschworene „Hier und Jetzt“. Was bringt es mir, mich jetzt zu „zermartern“, nachts wach zu legen … schade um die geschenkte Lebenszeit, um jeden noch so kleinen Lebensmoment. Und, ich habe mir vorgenommen, den Blick wieder auf meine Selbstheilungskräfte, meine innere Stärke, meine innere Kraft sowie meinen Lebenswillen und Lebenshunger zu richten! Ich werde nicht aufhören, Fragen zu stellen, Gespräche zu führen, mich auszutauschen, im Yoga zur Ruhe zu kommen, nach innen zu horchen und zu vertrauen, auf das was kommt und kommen soll.
Ich wünsche mir, dass wir uns erlauben, auf unseren Wegen innezuhalten, zu spüren, nach links und rechts zu schauen, evtl. einen Schritt zurückzugehen, um festen Schrittes vorwärts gehen zu können. Es ist nicht falsch, seinen Weg zu korrigieren, Neues zu denken, auch wenn es zunächst unverständlich ist. Solange wir uns treu bleiben und an uns glauben.
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