Klarheit, innere Stärke, Zukunftsfragen
- Antje Hoell
- 20. Mai 2021
- 3 Min. Lesezeit
Fast vier Wochen sind vergangen, seit meines letzten Eintrags. Eine lange Zeit, in der ich viele Gedanken gedacht und zahlreiche Gespräche mit lieben FreundInnen und einigen WegbegleiterInnen geführt habe. Ich habe gelacht, geweint, mich an der erwachenden Natur erfreut, mir die gesunde Seeluft der Ostsee um die Nase wehen lassen und versucht, einen klaren Kopf zu bekommen. Das ist mir recht gut gelungen. Am Mittwoch hatte ich mein Entscheidungsgespräch mit meinem Oberarzt. Noch immer kann ich es kaum fassen, wie menschlich und patientenzugewandt mein Oberarzt ist und arbeitet. Von 100 ÄrztInnen behaupte ich, ist er der Einzige, der seine/n PatientIn wirklich ernst nimmt und gemeinsam mit ihnen eine Therapie erarbeitet, die die persönlichen Umstände sowie Bedürfnisse der PatientInnen berücksichtigt. Wie auch bei mir. Durch die seit Ende März bestehende Therapieauszeit habe ich gemerkt, wie sehr die bisherige Therapie meinen Körper geschwächt hat. Ich will, dass es mir besser und nicht schlechter geht. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, vorerst die Therapie auszusetzen. Mein Oberarzt hat damit Bauchweh, wie er sagt. Dennoch akzeptiert er meine Entscheidung. Eigentlich würde sich jetzt, meines Erachtens, die schlimmste Behandlung auf Erden anschließen, eine Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation. Davon bin ich weit entfernt. Deshalb wollte mein Oberarzt mit mir einen Kompromiss eingehen und mir eine Therapie alle sechs Wochen anbieten. Damit bin ich allgemein einverstanden. Derzeit jedoch ist es für mich emotional nicht möglich, weiterhin diese Dosis zu erhalten und wieder in den emotionalen und körperlichen Nebel von Unwohlsein, Schlafstörungen, körperliche Schwäche, Müdigkeit und einiges mehr einzutauchen. Ich will wieder zu Kräften kommen, mich mehr erfreuen können. Was nicht einfach ist, denn eine weitere Therapie schwebt wie ein Damoklesschwert über mir. Wie lange kann ich der Therapie entgehen? Die Vorstellung, die nächsten Jahre alle paar Wochen eine Chemodosis zu erhalten, die mich im Alltag beeinträchtigt, ist nicht gerade aufbauend. Dennoch gebe ich nicht auf. Ich glaube daran, dass mein Myelom nicht so schnell wieder aktiv wird, wie die Statistik es prophezeit. Denn laut der Statistik und meines Risikomarkers wird es schnell wieder aktiv werden und dann sind es nicht mehr unter 2% sondern schnell wieder 20 / 30 oder mehr Prozent. Ich will zuversichtlich sein und meinen Fokus auf die Bereiche legen, die dazu beitragen, gesund zu sein. Mein Oberarzt hat viel dazu beigetragen. Bei all unseren Terminen habe und fühle ich mich ernst genommen, ich darf meine Gedanken und Wünsche äußern, werde dafür nicht! verurteilt oder mit Ablehnung bestraft. Im Gegenteil, meine Entscheidungen werden akzeptiert, auch wenn mein Oberarzt anderer Meinung ist. Damit habe ich Zuversicht und Halt in mich als Person gewonnen und stehe dazu. Die gewonnene innere Klarheit, leitet mich. Auch meine lieben FreundInnen und WegbegleiterInen, die an meinem Leben teilhaben, sich für mich interessieren, mich mit Worten, kleinen Gesten, ehrlichen Fragen und konstruktiven Hinweisen stärken, helfen mir, das Leben zu leben. Wie es nun weiter geht? Mein Oberarzt wird mich engmaschig betreuen. Alle drei bis vier Wochen will er mich sehen, mein Blut untersuchen. In der Medizin nennt man diese Phase „Watch an Wait“. Meinen herzerfrischenden Oberarzt alle drei bis vier Wochen zu „besuchen“, stört mich nicht. Im Gegenteil. Ich darf mich erfreuen an den herzlichen Schwestern (es gibt z.B. eine, die ein herzerfrischendes ansteckendes Lachen hat und strahlt wie die Sonne J, der Chefoberärztin, die mir beim letzten Mal Kuchen geschenkt und mir den Arm gestreichelt hat. Ich mache das Beste daraus und wer mich kennt, weiß, dass Antje Menschen gerne in Gespräche verwickelt, ihnen zuhört und Komplimente verteilt. Ja, das macht mich aus. Ich gestalte mein Leben, indem ich mich auf mein Gegenüber einlasse, meine Umwelt wahrnehme und dankbar bin für das, wer oder was mich umgibt.
In dem Sinne wünsche ich Euch, liebe LeserInnen, dass auch ihr eine innere Klarheit und Stärke entwickelt, dieser vertraut und euch davon leiten lasst. Denn nur wir selbst wissen, was uns gut tut und was nicht.

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